Wortmeldung zu Lernmethodik

Ein Gastbeitrag von Louisa Wulfken – Teil 1

Die Steinzeit hat angerufen. Sie will ihre Methoden zurück.

Ich bin 26 Jahre alt, lebe in München und ich erfülle gleich zwei für mich wichtige Voraussetzungen, die mich qualifizieren diesen großartigen Blog mit einem Beitrag zu ergänzen. Dieser erste Beitrag ist eine subjektive Sammlung von Erfahrungen und Beobachtungen mit einem Thema, das wahrscheinlich einige Leser*innen nachvollziehen können. Mir ist vollumfänglich bewusst, dass nicht jede*r sie mit mir teilen wird. Sie entsprechen aber einer Realität, die längst nicht nur einige wenige betrifft, sondern seit Jahren Inhalt medialer Debatten ist, die bisher nicht laut genug wurden, um eine Veränderung herbeizuführen. Jeder Versuch zählt und dies soll einer davon sein.

Als Grundschullehrerin könnte ich fachlich vermutlich nicht weiter von Paragraphen, Gesetzestexten und Rechtsprechung entfernt sein, wenn man die täglichen Schlichtungsversuche auf dem Pausenhof, die Erinnerungen an die Klassenregeln und das Unterschreiben „superechter Verträge“ mit Schüler*innen, die ein besonders erfolgreiches Verdrängungsvermögen mitbringen, vernachlässigt.

Nein, dieses besondere Fachgebiet ist beinahe ein kleines Stück meiner DNA, denn ich habe die große Ehre einige diese Fachvertreter*innen in meinen engsten Familien- und Freundeskreis zählen zu dürfen. Für den einen oder die andere mag das nach unterschwelliger Verächtlichkeit klingen. Tatsächlich aber ist es Respekt und an vielen Stellen auch Mitgefühl. Mit so viel Bindung zu den dicken, roten Buchrücken und prägenden Erziehungsgrundsätzen wie Fristen zu setzen, ist nämlich auch die lange Zeit bis zum erlösenden Bescheid über ein bestandenes oder gescheitertes Staatsexamen nicht an mir vorbeigegangen. Das, was für die Kandidierenden dieser Prüfungshölle zur normalen Bewährungsprobe eines*r abgebrühten Jurist*in gehört, ist für eine Pädagogin der Neuzeit eine nicht repräsentative, ineffektive und das Ziel vollkommen verfehlende Entscheidung über die juristischen Fähigkeiten eines Menschen. Ihr Ergebnis lässt nämlich kaum Aussagen darüber treffen, ob es sich bei diesen Kandidierenden um eine*n fähige*n oder unfähige*n Jurist*in handelt. Ich werde wohl beinahe jedem Juristen und jeder Juristin aus der Erinnerung sprechen, wenn ich die inakzeptablen Korrekturen der zwanzigseitigen Klausuren erwähne, die so häufig von nicht ausreichend qualifizierten Mitarbeiter*innen eines Lehrstuhls vorgenommen werden. Dass dieser Umstand leicht mit den finanziellen Ressourcen in der universitären Lehre zu begründen ist, ist für mich nur ein schwacher Trost, wenn man bedenkt, dass diese Korrekturen respektlos, aussagelos und willkürlich sind. Ihr Effekt aber ist mächtig. Studierende erleben im Laufe ihres Studiums eine fortschreitende Entwürdigung, die darin mündet, dass sie sich ein Jahr und länger bis Selbstzerstörung quälen und foltern. Dabei halten viele von ihnen diesen überzogenen Wahnsinn für notwendig und angemessen. Die beliebte und gleichzeitig völlig widersinnige Gleichung: je härter und qualvoller der Weg, desto wichtiger erscheint der Erfolg, findet nur allzu oft Anwendung. Im emotionalen Kontext mag diese Gleichung stimmen. Im Sinne von Effektivität und persönlicher Weiterentwicklung ist diese Gleichung Schwachsinn. Was nämlich bleibt übrig, wenn man mit letzter Kraft aus seinen Prüfungen schleicht? Die demütigenden Nachfragen der Schlaumeier, die aus dem dringenden Bedürfnis herrühren, endlich ein Stück Anerkennung aus vermeintlich Gleichgesinnten herauszuquetschen? Über soziale Kompetenzen möchte ich an diese Stelle nicht sprechen. Vermutlich kann sich ein gesunder Menschenverstand herleiten, ob diese in einem Beruf nötig sind, in dem es um Kontakt mit Menschen geht.

Oder bleibt am Ende ein halbes Jahr Erholungsurlaub bei den Eltern, die mit Mühe und Not das verlorene Gewicht, die leeren Blicke oder die Panikattacken wieder in einen lebenswerten Alltag umzuwandeln versuchen. Bleibt am Ende ein Bescheid, der auszahlt, was man investiert hat oder würde man für die Erträge wohl jeden Bankberater auf den Mond schießen? Am Ende bleibt der Brief, der Bescheid oder das Urteil, wie auch immer man es nennen möchte. Es bleiben ein paar Prüfungen, die man unter absurden Umständen innerhalb weniger Tage absolvieren musste und die in einer kleinen Zahl zusammengefasst werden. Sie schmettert in tragischer Art und Weise meist mehr als ein Jahr Arbeit zu einem kleinen Haufen Asche zusammen. Oder sie hebt einen auf die Wolke der Auserwählten. Die Wolke derer, die vielleicht mehr gelernt haben, die besonders nervenstark waren, die besondere Unterstützung hatten, denen die Art des Lernens, die im Jurastudium üblich ist, besser lag oder derer, die einfach nur Glück hatten. Alle aber sitzen auf der gleichen Wolke und schauen auf die hinab, die gescheitert sind. Die einen Teil ihrer Lebenszeit auf diese lächerlichen paar Tage aufgewendet haben, um jetzt ins tiefe Tal der echten Welt zurückzustürzen. Und weil man sich vorher so gerne der Gleichung mit der eigenen Wichtigkeit bedient hat, ist der Sturz in die eigene Unwichtigkeit besonders hart. Dieses Ergebnis bedient sich einzig und allein der Tatsache, in diesen Prüfungstagen vielleicht krank gewesen zu sein oder zu nervös, den richtigen Faden in fünf Stunden nicht gefunden zu haben oder vom Lernen bis zur letzten Minute viel zu müde gewesen zu sein. Warum? Weil ein echter Jurist, eine echte Juristin nicht müde sein darf, nicht erschöpft, nicht krank und schon gar nicht nervös. Ein echter Übermensch sozusagen.

Mit den am wenigsten angemessenen Methoden und Werkzeugen sich über einen sehr langen Zeitraum kognitiv und körperlich zu malträtieren, ohne eine Gewissheit über den Nutzen dieses Aufwandes zu haben, kommt einem Hindernislauf durch ein Scherbenfeld gleich, bei dem das Ziel nur für einige Glückspilze ein erholsames Fußbad bietet. Alle anderen laufen barfuß den ganzen Weg zurück, keine Etappe, keine Entwicklung. „Gehen Sie zurück auf Los“, heißt es dann. Wie bei einem bekannten Spiel, nur eben im echten Leben. Ohne eine Spielfeld, das man wütend zusammenklappen und sicher wieder in der Schachtel verstauen kann.

Nun soll das Unverständnis über diese Zustände aber nicht denen gelten, die sich gerade mit nackten Füßen im Sumpf des Unbekannten befinden. Nein, sie gilt einem System, das nicht geändert wird. Das nicht geändert wird, weil die, die es erfolgreich durchlaufen haben, es nicht ändern wollen. Weil etwas, das schon immer so war, nicht geändert werden muss. Weil die privilegierte Glückspilze da ja schließlich auch durch mussten. Und dazu bietet es schließlich einen Kontrast zu denen, für die Last zu schwer, der Weg zu lange und die Scherben zu scharf waren. Ein Kontrast, der dem eigenen Selbstbewusstsein gut tut. Eine menschliche Art zu denken, aber eben auch ineffizient und wenig fortschrittlich. Und die Geschichte bestätigt all jene, die diese Prüfungsform als sinnvoll erachten, weil jedes Jahr wieder tausende Studierende ihren Weg ins Jurastudium wagen. Nun mag die eine oder der andere nach dem Ansatz Charles Darwins argumentieren, frei nach dem Motto: der Stärkere überlebt. Oder man überspannt den Bogen, zieht den Vergleich zur ewigen harten Lebensprüfung, die auch nicht einfach verändert werden kann. Für mich sind das alles Ausreden, ein Arbeiten abseits jeder wissenschaftlichen Erkenntnis, die schon seit einigen Jahren in der Ausbildung junger Lehrkräfte Anwendung finden. Mit gutem Grund. Nicht, weil wir Sechsjährige vor uns haben, deren kindliche Seele es zu schonen gilt. Am Ende sind es eben Menschen. Menschen, die durch die Erfahrungen, Strategien und Methodenvielfalt der heutigen Zeit ihren eigenen Weg in die Bildung ihres Lebens suchen. Eine Bildung, die motiviert weiter zu lernen, die eine persönliche Bereicherung ist, eine Ergänzung zur Persönlichkeit und irgendwann eine Berufung wird, die ist nachhaltig. Eine solche Bildung schafft es, das eigene Ego zu vergessen und andere an der Freude zum Wissen teilhaben zu lassen. Mit dieser Bildung sitzt man nicht privilegiert vom Glück allein auf einer Wolke, sondern weiß, dass sie nur ihren Wert behält, wenn man sie weitergibt.

In meinem inneren Ohr höre ich bereits verächtliche Stimmen, die mir meine verweichlichte Grundschullehrerinnenmeinung in einer dramatischen Gegenrede vor meine Füße werfen wollen. Von mir aus. Am Ende kommt es nicht auf meine Meinung an, sondern auf Ergebnisse, die lange erforscht und ausreichend gesichert sind. Und eben diese Ergebnisse möchte ich hier nächsten Monat vorstellen.